Neues aus Berlin und Brüssel
Alle Jahre wieder gibt uns die Stadtwerke-Kooperation Trianel einen Überblick über neue Gesetzesinitiativen in der Energiewirtschaft. Mein Gesprächspartner war Dr. Torsten Bischoff, Leiter der Unternehmenskommunikation und Energiepolitik bei Trianel, der zuvor zehn Jahre im Bundesumweltministerium tätig war.
Kerstin Griese: Die Kohlekommission sollte einen Vorschlag erarbeiten, wie ein Kohleausstieg in Deutschland umgesetzt werden kann. Wie bewerten Sie die Arbeit der Kohlekommission und mit welchen Ergebnissen rechnen Sie im Februar?
Dr. Torsten Bischoff: Mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung hat die Bundesregierung wohl einen der schwierigsten energiepolitischen Jobs der laufenden Legislaturperiode an eine Kommission delegiert. So wie die Kommission aufgestellt ist, sowohl die Zahl der Kommissionsmitglieder als auch ihre Geschäftsordnung, gestaltet sich der Verhandlungsprozess außerordentlich schwierig. So bedarf beispielsweise jeder Bericht, der veröffentlicht werden soll, einer 2/3-Mehrheit. Von Anfang an war klar, dass sich die Kommission im Grunde mit zwei Fragen beschäftigen muss: Zum einen muss mit Blick auf die Sicherheit der Energieversorgung beurteilt werden, wie die Ausstiegsgeschwindigkeit, die Ausstiegsreihenfolge und die Ausstiegsinstrumente aussehen könnten. Natürlich müssen dabei auch die Kosten der Energieversorgung im Blick behalten werden. Zum zweiten muss die Kommission Vorschläge erarbeiten, wie wegfallende Arbeitsplätze durch strukturpolitische Maßnahmen aufgefangen werden können. Gerade in dieser Frage tut sich die Kommission besonders schwer, ganz abgesehen von der Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, die finanziellen Forderungen der betroffenen Bundesländer zu erfüllen. Letztendlich gehe ich davon aus, dass die Kommission ein Ende der Kohleverstromung in den späten 30er Jahren empfehlen wird – wenn sich denn für den Gesamtbericht im Februar die erforderliche Mehrheit überhaupt findet.
Kerstin Griese: Was passiert, wenn die Empfehlungen dann der Bundesregierung vorliegen?
Dr. Torsten Bischoff: Dann ist die Bundesregierung gefordert, den Kohleausstieg und die begleitenden Maßnahmen in Gesetzentwürfe zu gießen. Dabei ist sie allerdings nicht daran gebunden, die Kommissionsempfehlungen 1:1 umzusetzen. Sie kann durchaus auch modifizierte oder ganz andere Maßnahmen vorschlagen. Was Bundestag und Bundesrat dann aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung machen, ist wieder eine andere Frage. Die Erfahrung lehrt, dass mit der Vorlage des Kommissionsberichts vermutlich noch nicht einmal die halbe Arbeit getan ist. So wird sich aller Voraussicht nach die Kommission beispielsweise auch nicht vertieft zur Frage der Ausstiegsinstrumente äußern – also ob beispielsweise das Alter der Kraftwerke oder eine festzulegende Reststrommenge oder die spezifischen CO2-Emissionen je produzierter kWh der einzelnen Kraftwerke bzw. Kraftwerksblöcke die Ausstiegsreihenfolge bestimmen soll. Diese „Details“ müssen dann Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat klären.
Kerstin Griese: Es gibt lt. Energiesammelgesetz Neuerungen bei der Befeuerung von Windkraftanlagen, also bei den kleinen Lämpchen, die die ganze Nacht über blinken, welche?
Dr. Torsten Bischoff: Der Gesetzgeber hat beschlossen, die sogenannte „bedarfsgerechte Befeuerung“ von Windenergieanlagen zum 1. Juli 2020 verbindlich vorzuschreiben. Das gilt sowohl für neue als auch für bestehende Windparks. Während früher für die bedarfsgerechte Befeuerung – also das Anschalten der Lichter nur dann, wenn sich ein Flugzeug nähert – ausschließlich teure aktive Radarsysteme akzeptiert wurden, sind künftig auch deutlich günstigere Transponderlösungen zugelassen. Insgesamt bin ich der Auffassung, dass die bedarfsgerechte Befeuerung ein wichtiges Instrument ist, um die Akzeptanz der Windenergienutzung zu verbessern.
Kerstin Griese: Und wie sieht es grundsätzlich mit der Förderung erneuerbarer Energien – also Wind- und Solarstrom – aus? Welche Veränderungen erwarten uns da?
Dr. Torsten Bischoff: Die Umsetzung der sogenannten Sonderausschreibungen aus dem Koalitionsvertrag im Umfang von 8 Gigawatt ist erst einmal ein gutes Zeichen. Allerdings findet sich das EE-Ausbauziel von 65% bis zum Jahr 2030, das die Koalitionsparteien beschlossen hatten, im Energiesammelgesetz nicht wieder. Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen wäre das auch gar nicht zu erreichen. Da ist eher die Frage zu stellen, ob der in den nächsten Jahren zu erwartende Rückbau von alten PV und vor allem Windenergieanlagen dadurch überhaupt kompensiert wird oder ob es auf Sicht nicht sogar zu einem Netto-Rückbau kommen wird. Über alle Änderungen im Energiesammelgesetz hinweg betrachtet, ist leider zu konstatieren, dass eine Beschleunigung des EE-Ausbaus nicht zu erwarten ist. Zudem weist das Energiesammelgesetz recht eindeutig darauf hin, dass der Gesetzgeber den Schwerpunkt des EE-Ausbaus in den kommenden Jahren eher bei kleinen PV-Dachanlagen als bei Windenergie- oder PV-Freiflächenanlagen sieht.
Kerstin Griese: Der Stromleitungsausbau von Nord- nach Süddeutschland ist deutlich im Verzug. Jetzt droht die EU damit, Deutschland in zwei Strompreiszonen aufzuteilen: günstiger Strom im Norden, teurer Strom im Süden. Was sind die Hintergründe und was würde dies für Deutschland bedeuten?
Dr. Torsten Bischoff: Durch die Verzögerungen beim Ausbau des Höchstspannungsnetzes in Deutschland kommt es zu sogenannten „Loop Flows“. Das bedeutet, dass z. B. der in Norddeutschland erzeugte Windstrom über die Niederlande und Frankreich oder Tschechien und Polen nach Süddeutschland fließt, weil das innerdeutsche Netz die notwendigen Leitungskapazitäten nicht hergibt. Die Netze unserer europäischen Nachbarländer halten also als Ersatz für die fehlenden Netze in Deutschland her. Das führt zu zwei Effekten: Erstens kann das Netz des europäischen Nachbarn destabilisiert werden, das ist beispielsweise in Polen ein Problem. Zweitens behindern die Loop Flows den europäischen Stromhandel, für den sich die EU-Kommission stark macht. Grenzkuppelkapazitäten, die durch Loop Flows beansprucht werden, stehen für den europäischen Stromhandel eben nicht mehr zur Verfügung. Das ist der Grund, weshalb die EU jetzt gesagt hat: Deutschland muss bis 2024 rund 70 Prozent der Grenzkuppelkapazitäten für den europäischen Stromhandel frei räumen, sonst wird Deutschland in mehrere Strompreiszonen aufgeteilt. Diese Aufteilung ist ja nichts anderes als die Bewirtschaftung eines real vorhandenen Netzengpasses. Oder, um es plastisch auszudrücken: Die Bildung von Strompreiszonen ersetzt Kupfer durch Markt. Dass das tatsächlich funktioniert, kann man im skandinavischen Raum sehen, da gibt es inzwischen 15 verschiedene Strompreiszonen. Ein anderes Beispiel, das die Bundesregierung im Oktober 2018 selbst mit Erfolg angestoßen und umgesetzt hat, ist die Abtrennung der österreichischen von der deutschen Strompreiszone. Allerdings kann eine solche Aufteilung erhebliche Auswirkungen auf die regionale Industriestruktur in Deutschland haben und jene Kraftwerke benachteiligen, die auf der „falschen“ Seite stehen. Das ist auch ein Grund dafür, dass wir als Trianel diese Bestrebungen außerordentlich kritisch sehen.
Kerstin Griese: Und was wird die Bundesregierung in dieser Frage nun konkret unternehmen? Und wird dies bis 2024 gelingen?
Dr. Torsten Bischoff: Die Bundesregierung muss nun erstmal ein Maßnamenpaket an Brüssel schicken, wie sie gedenkt, das Netzausbauproblem bis 2024 in den Griff zu bekommen. Dazu gehören beispielsweise die Maßnahmen, die die Bundesregierung im Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vorgeschlagen hat – also verschiedene Beschleunigungsmaßnahmen bei der Planung und Realisierung des Netzausbaus oder auch die Relativierung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien. Ich persönlich bin skeptisch, ob diese Maßnahmen wirklich zu einem Durchbruch beim Netzausbau in Deutschland führen. Gerade die Relativierung des Einspeisevorrangs nimmt ja eher den Druck von den Übertragungsnetzbetreibern. Das halte ich für den falschen Weg. Richtig wäre aus meiner Sicht die Stärkung der Verteilnetzbetreiber, die durch Speicher und andere Flexibilitäten erheblich helfen könnten, die Übertragungsnetzte besser auszulasten. Zudem wäre die regionale Steuerung des EE-Ausbaus eine sinnvolle Initiative, die eigentlich auch im Koalitionsvertrag vereinbart, aber bislang nicht umgesetzt worden ist.
Kerstin Griese: Das EU-Winterpaket umfasst Verordnungen und Richtlinien für die Dekarbonisierung der Stromerzeugung. Wie sehen die Beschlüsse aus dem November 2018 aus? Und was bedeuten diese für Deutschland?
Dr. Torsten Bischoff: Zum einen gibt das sogenannte Winterpaket der EU einen klaren Fahrplan zum Ausbau der erneuerbaren Energien vor. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am gesamten EU-Endenergieverbrauch soll bis 2030 von knapp 17 % (2016) auf 32 % steigen. Zum anderen wird die Dekarbonisierung, insbesondere durch die Strombinnenmarkt-Verordnung vorangetrieben. In den Verhandlungen zwischen der EU-Kommission, dem EU-Parlament und dem Ministerrat wurde beispielsweise die Einführung eines CO2-Grenzwertes beschlossen für Kraftwerke, die an Kapazitätsmechanismen teilnehmen wollen. Neue Kraftwerke, die mehr als 550 g pro kWh ausstoßen, dürfen nicht mehr an Kapazitätsmechanismen teilnehmen. Für Bestandskraftwerke gilt eine Übergangsregelung bis zum 1.7.2025. Mit dem Winterpaket hat die EU ebenfalls die bereits erwähnten Vorgaben für den Stromnetzausbau gemacht. Das EU-Winterpaket zeigt einen ganz klaren Trend: Auch die Energiepolitik wird immer stärker von der EU beeinflusst, wenn nicht sogar bereits dominiert. In der Folge wird Brüssel auch zum Treiber in der Dekarbonisierungsdebatte.
Kerstin Griese: Großbritannien will die EU am 29. März verlassen. Welche Folgen wird ein – wie auch immer gearteter – Brexit für den Klimaschutz haben?
Dr. Torsten Bischoff: Ziemlich klar ist, dass die EU mit Großbritannien einen wichtigen Treiber beim Klimaschutz verlieren wird. Bereits 2016 hat das vereinigte Königreich die ersten Kohlekraftwerke abgeschaltet und will bis 2025 aus der Kohleverstromung aussteigen. Ein erheblicher Beitrag für den Klimaschutz, der eben nicht mehr auf Seiten der EU zu verbuchen wäre. Unklar sind insbesondere die Auswirkungen auf den europäischen Emissionshandel. Ich sehe da verschiedene Möglichkeiten. Eine wäre, dass Großbritannien im Emissionshandelssystem bleibt, eine weitere, dass Großbritannien ein eigenes System Emissionshandelssystem aufbaut, dass gegebenenfalls preislich mit dem EU-ETS gekoppelt werden könnte. Im Falle eines Ausstiegs aus dem ETS stellt sich natürlich die Frage, wie mit den Zertifikaten umzugehen ist, die britische Unternehmen heute halten, aber nicht mehr benötigen. In Bezug auf die EU-Energieeffizienzvorgaben ist bereits geklärt, dass alle Zielzahlen, die sich auf den absoluten Primär- und Endenergieverbrauch der EU28 im Jahre 2030 beziehen, um die Mengen reduziert werden, die auf Großbritannien entfallen. Keine Änderungen ergeben sich hingegen für das das Ziel der EU, die Energieeffizienz bis 2030 um mindestens 32,5 Prozent zu steigern, denn dieser Wert gilt unabhängig von der Zahl der Mitgliedstaaten.
Herzlichen Dank für diese Ein- und Ausblicke Herr Dr. Bischoff!
Autor: Kerstin Griese