Neues Leben für Umspannanlagen
Auch Umspannanlagen altern: Etwa alle 15 Jahre muss in die Elektronik, alle 30 Jahre in die Schaltanlage investiert werden. Zuletzt haben die Kollegen von den Netzen Solingen die Anlagen am Weyersberg und in Löhdorf auf den neusten Stand gebracht.
Felder für Strom
Sieben Umspannanlagen betreiben die Netze Solingen und versorgen damit unsere ganze Stadt: in Wald, am Halfeshof, am Flachsberg, in Scheuren, Ohligs, Löhdorf und am Weyersberg (Umspannanlage Solingen). Dort übernehmen die Netze Solingen elektrische Energie mit einer Spannung von 10.000 Volt vom Vorversorger Westnetz. Über ein so genanntes Einspeisefeld wird der Strom auf eine Sammelschiene geleitet und von dort aus, über so genannte Abgangsfelder, ins Mittelspannungsnetz gespeist. Jede der sieben Umspannanlagen hat zwei oder drei Einspeisefelder und zwischen zwölf und 40 Abgangsfelder. Und jedes dieser Felder musste bei der Überarbeitung einzeln ertüchtigt und dann eingerichtet werden. Alle diese Felder sind mit einem Schutzgerät ausgestattet, welches im Fehlerfall, einen Leistungsschalter abschaltet und damit einen größeren Schaden verhindert. Zum Beispiel dann, wenn eine Störung an einem Kabel oder einer Anlage auftritt, durch eine Beschädigung oder andere Einflüsse.
Draht zum Entstördienst
Neben diesen Einspeise- und Abgangsfeldern ist in den Umspannanlagen auch die Leittechnik untergebracht. Sie dient dazu Messwerte anzuzeigen, Statusmeldungen zu geben, Befehle zwischen der Netzleitstelle und der Umspannanlage auszutauschen und fungiert zusätzlich als Sicherung. Alle Informationen der Umspannanlagen laufen in der Netzleitstelle zusammen. Die Netzleitstelle kennen die meisten Solingerinnen und Solinger als Entstördienstzentrale. Hier ruft man an, wenn man zuhause keinen Strom mehr hat. Die Kollegen dort treffen dann die Entscheidungen, die dafür sorgen, dass das betroffene Gebiet so schnell als möglich wieder mit Strom versorgt wird. Das ist aber nur möglich, wenn die verwendete Technik zuverlässige Informationen liefert und reibungslos funktioniert.
Schluss mit Ersatzgeräten und alten Betriebssystemen
Die Leit- und Schutztechnik der Umspannanlagen Löhdorf und Solingen war in den letzten Jahren reparaturanfälliger geworden. Regelmäßig hatten die Kollegen dort deshalb Ersatzgeräte eingebaut. Michael Küll, einer der beiden Projektleiter und Gruppenleiter in der Leitwarte: „Diese Ersatzgeräte stammten aus vorangegangenen Neubauten und Ertüchtigungen der anderen fünf Umspannanlagen und arbeiteten noch mit „alter“ Leittechnik. Auch wenn so ein sicherer Betrieb gewährleistet wurde, war die Zahl der Ersatzgeräte doch endlich.“ Deshalb haben sich die Netze Solingen für eine Erneuerung der Schutz- und Leittechnik entschieden. Andreas Pflaum, zweiter Projektleiter und Mitarbeiter der Netzführung und Leittechnik: „Die zentrale Steuereinheit basierte noch auf einem älteren Betriebssystem. Es wurde also Zeit für einen Umbau!“
„Das machen wir selber!“
Im Jahr 2019 begannen die Vorbereitungen zum Umbau. Zuerst mussten Angebote eingeholt und geeignete Firmen ausgewählt werden. Den Zuschlag erhielt ein modernes Leitsystem der Firma Siemens mit kombinierten Feldleit- und Schutzgeräten. Die Lieferung der Feldgeräte erfolgte im Sommer 2019. Andreas Pflaum: „Für uns war von Anfang an klar: Den Umbau machen wir wieder selber. Dadurch erhalten wir einen umfassenden Einblick in die Technik und sind auch bei Störungen und Änderungen nicht auf fremde Hilfe angewiesen.“ In ähnlicher Weise hatten die Kollegen auch schon die Umspannanlagen Ohligs und Halfeshof umgebaut. Michael Küll: „Auch die Neubauten in Wald, Flachsberg und Scheuren haben wir betreut und die Planung, Anpassung und Parametrierung der Leit- und Schutztechnik in den Anlagen selbst durchgeführt.“ Zuvor hatten sich die Kollegen aber bei einem Lehrgang schlau gemacht: Im September 2019 verbrachten sie vier arbeitsreiche Tage in Nürnberg.
Umfangreiches Planwerk
Andreas Pflaum zeichnete die Pläne für die insgesamt 76 10.000 Volt-Felder, die Steuerschränke und die Änderungen in den peripheren Anlagen. Er erzählt: „Pro Feld waren es 40 Blatt Papier, auf denen sich die Pläne befanden. Der Kollege, der das Papier rankarren musste, war gar nicht glücklich.“
Michael Küll: „Ich kann mit Fug und Recht sagen: Nur durch die 100-prozentige Genauigkeit dieser Pläne war der Umbau so reibungslos möglich. Ohne meinen Kollegen hätte das nie geklappt.“ Darauf kontert Andreas Pflaum: „Jetzt werde ich aber rot!“ Man merkt den beiden an, dass sie seit 2001 gut zusammenarbeiten. Kennen tun sie sich aber noch viel länger, nämlich als Andreas Pflaum 1987 mit der Lehre angefangen hat. Damals war Michael Küll Geselle.
Mit vollem Körpereinsatz
Als nächstes mussten die beiden Kollegen die neuen Lichtwellenleiter in der Anlage ziehen. Jedes einzelne Feldgerät wird mit einem Lichtwellenleiter an die Zentraleinheit angebunden. Dabei kommen einige Kilometer zusammen. Michael Küll: „Die Lichtwellenleiter dürfen nicht geknickt oder gezogen werden. Das macht es so kompliziert.“ Hinzu kam, dass die Glasfaserkabel unter dem Stelzenboden verlegt werden müssen. Andreas Pflaum: „Die Böden sind nur etwa 50cm hoch und dort lag der Staub der letzten 20 Jahre. Anschließend sahen wir immer aus als ob wir uns im Dreck gewälzt hätten. Vor Spinnen sollte man übrigens auch keine Angst haben.“
Zwischen Büro und Baustelle
Nach diesem staubigen Einsatz ging es für einige Wochen zurück ins Büro: Die Einstellung der zentralen Steuereinheit und der Feldleit- und Schutzgeräte musste erledigt werden, Steuer- und Verriegelungsfunktionen mussten in Funktionslaufpläne umgesetzt werden. In der zentralen Steuereinheit jeder Umspannanlage wurden danach alle Informationen gesammelt und für die Übertragung zur Netzleitstelle adressiert. Michael Küll: „Das ist erforderlich, damit der Kollege im Netzleitsystem jederzeit alle Zustände überwachen und Schaltungen vornehmen kann.“ Nachdem die zentralen Steuerschränke gekommen waren, ging es zurück auf die Baustelle, um die Schränke aufzubauen. Andreas Pflaum: „Nachdem die Steuerzentrale mit Strom versorgt war, konnten wir die Software aufspielen und an unsere Gegebenheiten anpassen.
Es wird ernst
Nachdem die Kollegen zunächst alle Arbeitsschritte an den Reserveabgängen durchgeführt hatten, um die neue Software zu testen und Erfahrungen zu machen, wurde es Anfang 2020 ernst: Jetzt begann die Arbeit an den „richtigen“ Abgangsfeldern. Michael Küll: „Zunächst wird das Netz durch den Schaltmonteur freigeschaltet und durch die Netzleistelle freigegeben. Wenn die erste Schraube gelöst ist, gibt es kein Zurück mehr. Zum Feierabend musste ja alles wieder funktionieren, da wir ansonsten die Versorgungssicherheit nicht hätten gewährleisten können.“ Die komplette Verdrahtung musste entfernt werden, ebenso die alten Module für Vorortbedienung, Schutz- und Leittechnik. Stattdessen wurde ein Kombigerät in die Tür eingesetzt und angeschlossen. Die alten Türausschnitte wurden mit einer Edelstahlabdeckung verschlossen. Zeitgleich musste ein Kollege die Einstellungen im Netzleitsystem anpassen. Das alles passierte im laufenden Betrieb.
Ein Fehler und große Teile Solingens sind ohne Strom
Die Arbeit an den Feldern ist extrem anspruchsvoll. Michael Küll: „Das Feld, an dem wir arbeiten, ist zwar umgeschaltet aber alle anderen Abgänge stehen unter Spannung und versorgen die Bevölkerung weiterhin mit Strom. Dabei muss man höllisch aufpassen, nicht ein anderes Feld oder einen ganzen Abschnitt der Umspannanlage abzuschalten. Dann würde in einem größeren Bereich von Solingen der Strom ausgehen.“ Nach dem Umbau eines Feldes begann das Testen: Alle Meldungen, Messwerte, Befehle und die Schutzfunktionen müssen vor Ort und aus der Ferne getestet werden. Erst wenn alles fehlerfrei läuft, kann das bearbeitete Abgangs- oder Einspeisefeld wieder in Betrieb gehen.
Michael Küll und Andreas Pflaum sind sich einig: „Auch, wenn es viel Arbeit war: Letzten Endes haben wir es geschafft … und das macht uns schon ein wenig stolz.“
Autor: Kerstin Griese