Strom einkaufen – wie macht man das eigentlich?
Die Stadtwerke Solingen kaufen Strom nicht im Supermarkt – so viel ist klar. Wie es wirklich ist, erklärt mein Kollege Thomas Küpper, Abteilungsleiter Portfolio- und Produktmanagement, im Interview.
Kerstin Griese: Wie war es denn früher?
Thomas Küpper: Vor der Liberalisierung des Strommarktes, also vor dem Ende der 1990er Jahre, wurde einfach erfasst, wieviel Strom nach Solingen floss. Diese Menge wurde dann bei unserem Lieferanten abgerechnet. Jetzt arbeiten wir in so genannten Bilanzkreisen und müssen den Bedarf vorab prognostizieren.
Kerstin Griese: Wieviel vorher werden diese Prognosen denn erstellt?
Thomas Küpper: Wir kaufen etwa ab zwei oder drei Jahren vor der Lieferung ein, in mehreren Tranchen. Dazu erstellen wir langfristige Prognosen. Durch diese Strategie konnten wir in den letzten Jahren die ziemlich stark schwankenden Strompreise für unsere Kunden gut stabilisieren. Am Tag vorher aktualisieren wir unsere Prognosen noch mal – da fließen dann z. B. Wetterdaten mit ein – und kaufen Strom nach oder verkaufen zu große Mengen. Diese kurzfristigen Prognosen müssen wir täglich durchführen.
Kerstin Griese: Warum kauft man denn so früh ein, dann sind Prognosen doch besonders schwierig?
Thomas Küpper: Aktuell muss man von steigenden Strompreisen ausgehen, deshalb agieren wir so früh. Über die Aufteilung in Tranchen können wir uns an die Marktgegebenheiten anpassen. Dabei agieren wir eher konservativ. Wir zocken nicht! Wenn sich der Markt ändert, passen wir unsere Beschaffungsstrategie an. Dabei werden alle unsere Entscheidungen begründet und dokumentiert.
Kerstin Griese: Wieviel Erfahrung benötigt ein Kollege, der die Beschaffung macht?
Thomas Küpper: Ja, man könnte annehmen, dass die Programme, die wir zur Prognose einsetzen, alles übernehmen. Aber die Ergebnisse müssen auf ihre Plausibilität geprüft werden und dazu benötigt man eine große Erfahrung. Die Kollegen sind teilweise schon über 15 Jahre in diesem Bereich tätig.
Kerstin Griese: Wir haben jetzt die Prognosen, wie erfolgt dann der eigentliche Stromeinkauf?
Thomas Küpper: Unsere Prognosen zeigen wellenförmige Kurven, so wird beispielsweise abends und morgens mehr Strom verbraucht, weil die Menschen dann zuhause sind und kochen oder Fernsehen. Diese Kurven füllen wir zunächst mit so genannten Standardbändern auf: Es gibt ein Baseband, das läuft gleichbleibend durch. Damit fangen wir sozusagen die Grundlast auf, also die Menge Strom, die immer benötigt wird, ob Tag oder Nacht. Darauf setzen wir immer kleiner werdende Bänder, um die Berge der Kurve auszufüllen.
Kerstin Griese: Und wo kauft man solche Bänder?
Thomas Küpper: Entweder über die großen Energieversorgungsunternehmen oder über ein Online-Portal wie enmacc. Aber egal, über welchen Weg man geht, beim Stromeinkauf gelten immer ganz kurze Bindefristen: Der Preis, den ich genannt bekomme, gilt immer nur für fünf bis zehn Minuten. Deshalb müssen wir bei Industriekunden, die individuelle Angebote zu ihrem individuellen Verbrauch bekommen, auch einen Risikoaufschlag nehmen. Dieser wird umso höher, je länger die gewünschte Bindefrist ist.
Kerstin Griese: Und wo handelt man die kurzfristigen Produkte, also die, die man einen Tag vor dem Verbrauch zukaufen oder verkaufen muss?
Thomas Küpper: Das geschieht am Spotmarkt, dort kann man an Auktionen teilnehmen, die Stunden- oder Viertelstundenweise Strom verkaufen. Aber das macht die Trianel, der Stadtwerkeverbund in Aachen, für uns, weil man dort eine teure Börsenzulassung benötigt. Wir geben also unsere Kauf- oder Verkaufs-Aufträge an die Trianel.
Kerstin Griese: Und wie ist es mit den kleinen Stromschwankungen am Tag selber?
Thomas Küpper: Der Verbrauch am jeweiligen Tag wird automatisch über die so genannte Ausgleichsenergie gesteuert. Allerdings unterliegen die Preise der Ausgleichsenergie extrem starken Schwankungen bis hin zu negativen Energiepreisen. Das bedeutet, dass man Geld bekommt, wenn man zu diesem Zeitpunkt Strom einkauft. Deshalb versucht jeder Bilanzkreis-Verantwortliche, die Ausgleichsenergie möglichst gegen Null zu fahren.
Vielen Dank für diesen interessanten Einblick!
Autor: Kerstin Griese
Bitte beachtet unsere Netiquette!