Juli 2021: Hochwasser in Glüder
Am Wehr rauscht die Wupper, erstes Laub liegt auf dem Weg, zwei Menschen picknicken auf der gegenüberliegenden Flussseite. Richtig idyllisch hier! Umso stärker ist der Gegensatz zu der Geschichte, die mir die Kollegen vom Wasserwerk Glüder erzählen.
Dammbruch am Obergraben
René Pfau und Patrick Thon waren in der Nacht, als das Hochwasser kam, vor Ort. René Pfau war verantwortlich für die Staumauer und den Überlauf. Sein Kollege Patrick Thon war in dieser Nacht zuständig für das Wasserwerk und damit auch für das Wasserkraftwerk und den Obergraben. Der Obergraben transportiert Wasser der Wupper vom Wehr zur Pumpen- und Turbinenhalle des Wasserwerks. Dort läuft das Wasser unterhalb der Halle durch die Turbine und erzeugt Strom. Jedenfalls normalerweise!
René Pfau: „Ich bekam einen Anruf vom Tierheim, die mir erzählten, dass das Wasser des Obergrabens bereits über den Damm laufen würde. Deshalb bin ich zum Wasserwerk gefahren. Ich bin über den Waldweg gekommen. Kaum war ich am Obergraben, wurde mir klar, dass ich ganz schnell wieder wegmuss. Ich bin dann gleich rückwärts mit dem Auto wieder rausgefahren, denn das Wasser lief schon über den Damm.“
Patrick Thon: „Ich bin vom Balkhauser Weg nach Glüder gefahren. Der Weg zum Wasserwerk läuft an der Wupper entlang. In einer Senke lief das Wasser bereits den Hang runter und quer über die Straße in die Wupper. Ich musste mit meinem Ford Kuga ganz schön dagegenhalten, um nicht abgetrieben zu werden. Rausgekommen bin ich nachher mit dem VW-Bus vom Wasserwerk. Mit dem bin ich ganz gut durch die Senke gekommen.“

René Pfau: „Zu dem Zeitpunkt lief das Wasser schon an einigen Stellen über die Dammkrone. An der Rechenanlage war es erst nur ein kleines Rinnsal, doch die Wassermassen wurden schnell mehr. Und mit dem stärker werdenden Wasser wurden auch immer mehr Erdreich sowie Steine und auch ganze Bäume aus dem Damm gespült. Da war uns klar, dass wir hier nichts mehr tun können.“
Patrick Thon: „Es war gar nicht daran zu denken, bis zum Wehr zu fahren und dort den Obergraben abzusperren.“

Andreas Mokros, Wasserwerksmeister: „Ich war zu dem Zeitpunkt im Urlaub. Wir standen am Abend und in der Nacht über WhatsApp in Kontakt. Schnell war klar, dass die oberste Priorität darin bestehen musste, dass sich keiner in Gefahr begibt.“
Staumauer unter intensiver Beobachtung
Nach dem Obergraben ist auch die Staumauer selbst unter Beobachtung: René Pfau ist in der Nacht alle zwei Stunden an der Staumauer, um die Situation und den Höhenstand der Talsperre mit Hilfe seiner Stirnlampe zu beobachten. Er erinnert sich: „Meine Frau hatte mich noch gebeten, nicht zu fahren. Doch ich hatte Sorge, dass das Wasser über die Mauerkrone läuft.“ Doch die Kaskadenrinne erfüllte ihren Zweck. Sie leitete die Wassermassen an der Staumauer vorbei in das darunterliegende Tal Richtung Rieselwiese, welche zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr als Wiese zu erkennen war.
René Pfau: „Als ich die Idee hatte, die Notentleerung bzw. den Grundablass zu öffnen, um die Mauer zu entlasten, bemerkte ich, dass sich die Bruchsteine der Vorsatzschalung bereits zum Teil lösten und hinabfielen. Ich hatte richtig Angst und beschloss, mich der Gefahr nicht auszusetzen. Die Gesamtsituation war einschüchternd: die dunkle Nacht, das Tosen der Wassermassen, das Poltern der herabfallenden Bruchsteine und die Erkenntnis, hilflos den Naturgewalten ausgeliefert zu sein.“

Elektronik der Pumpen- und Turbinenhalle wird überflutet
Patrick Thon: „Das Wasser des Obergrabens hatte sich seinen Weg um die Pumpen- und Turbinenhalle herum gesucht und dabei den Keller mit der Elektronik überflutet. Deshalb mussten wir den Strom und damit die Pumpen und die Chlordosierung abschalten. Glücklicherweise sind wir redundant aufgestellt und der BTV (Bergischer Trinkwasser Verbund) hat die Wasserlieferung für Solingen übernommen. Am Samstagabend war die Elektronik schon wieder repariert. Unsere Kollegen hatten ganze Arbeit geleistet. Theoretisch hätten wir zu dem Zeitpunkt schon wieder den Betrieb aufnehmen können. Aber da unsere Förderleitung auf mehreren Metern freigespült worden war, mussten wir die Standsicherheit erst überprüfen.“

Wasserdruck an der Pumpen- und Turbinenhalle reduzieren
Das Ausmaß der Zerstörung rund um die Pumpen- und Turbinenhalle ist immer noch sichtbar, auch wenn viele Bauteile bereits abgerissen worden sind. Hier hat das Hochwasser am heftigsten gewütet.


Andreas Mokros: „Ich hatte aus dem Urlaub mit meinem Kollegen Marc Nothen Kontakt, der ebenfalls noch im Urlaub war. Marc ist für unsere Gebäude zuständig. Wir haben dann beide unseren Urlaub abgebrochen. Vor Ort war schnell klar, dass an vielen Stellen Lebensgefahr bestand und wir diese Stellen absichern mussten. Freitagmorgen haben wir mit unserem begleitenden Ingenieur eine erste Inaugenscheinnahme durchgeführt. Er hat uns dringend geraten, das Wasser schnellstmöglich vom Gebäude wegzuleiten. Zum einen zum Schutz des Gebäudes, zum anderen aber auch, um den entstandenen Schaden bewerten zu können.“
Marc Nothen, Abteilungsleiter Facility Management: „Erst haben wir versucht, den Zufluss in den Obergraben direkt am Wehr abzusperren. Wir haben dort eine Schützanlage, die bei normalen Pegelständen das Wasser bei Bedarf zurückhält. Aber bei diesen Hochwasserständen konnte die Schützanlage das Wasser nicht mehr halten. Der Plan war, den unteren Teil mit so genannten Big Packs zu sichern, um dann die Schützplatte ein Stück höher zu fahren. Das Wasser hat die jeweils 600 kg schweren Big Packs aber einfach weggedrückt.“

Und Marc Nothen weiter: „Letztlich haben wir uns dazu entschlossen, einen Stich anzulegen, um das Wasser aus dem Obergraben in die Wupper abzuleiten. Das hat gut funktioniert. Geholfen haben unsere Kollegen aus der Vermessung. Sie haben geprüft, ob das Gefälle an der Stelle ausreicht.“

Wasserleitung zur Krahenhöhe in Gefahr
Vor einigen Jahren wurde die Brücke am Strohn abgerissen. Auf den alten Fundamenten liegt heute noch die Rohrleitung auf, die Wasser von Glüder aus über die Wupper zum Wasserbehälter Krahenhöhe leitet. René Pfau: „Die Leitung stand im Wasser. Treibgut knallte immer wieder vor die Rohrleitung. Durch den Abbau der Brücke war die Leitung ungeschützt. Am Wupperwehr lag ein entwurzelter Baum. Wenn der sich losgerissen hätte, wäre unsere Rohrleitung wahrscheinlich nicht mehr zu retten gewesen.“

Viele, viele Aufgaben und Helfer
Auch die Datenleitung von Glüder zur Leitwarte auf der Beethovenstraße wurde weggerissen. Damit war eine Überwachung des Wasserwerks aus der Leitwarte unmöglich. In so einer Situation hätten die Kollegen des Wasserwerks 24/7 vor Ort sein müssen. Andreas Mokros: „Glücklicherweise hat unsere Kommunikationsabteilung die Leitung innerhalb eines Tages neu verlegen können.“
Marc Nothen: „Es gab so viele Baustellen, an denen wir gleichzeitig tätig werden mussten. Vor allem war es wichtig, die Pumpen- und Turbinenhalle vor dem Wasser schützen. Der Hang an der Straße Strohn drohte bereits auf Höhe der Filterhalle abzurutschen. Die Rohrleitungen durften nicht weiter freigespült werden. Bauteile mussten abgebrochen, Bäume gefällt und rausgezogen werden. Daneben haben wir Zäune aufgebaut, um Katastrophen-Touristen davon abgehalten, sich selbst zu gefährden. In den Wasserpfützen waren sogar ein paar Fische gestrandet, diese wurden von uns in die Wupper umgesiedelt. Ich habe mal gezählt: Ich habe an einem Tag 140 Telefonate geführt.“

Unterstützung kam von allen Seiten: Die Zusammenarbeit der Kollegen untereinander funktionierte auch abteilungsübergreifend hervorragend. Dienstleister mit denen seit Jahren zusammengearbeitet wird oder assoziierte Institutionen wie etwa der Wupperverband standen mit Rat und Tat zu Seite. René Pfau: „Externe Firmen haben sogar von sich aus bei mir angerufen und gefragt, wie sie uns helfen können.“ Durch die jahrelang bestehenden Geschäftsbeziehungen und die sehr guten Kontakte konnten die Kollegen aus dem Wasserwerk so schnell auf Ressourcen zurückgreifen, die dringend benötigt wurden. Und das in einer Zeit, wo sowohl in Solingen als auch überregional dringend Hilfe benötigt wurde. Letztlich wurde auch von den administrativen Abteilungen wie der Personalabteilung und dem Einkauf der Rahmen gegeben, all diese Maßnahmen unbürokratisch und zielgerichtet durchführen zu können. Und das Wichtigste: Es wurde trotz der anfangs chaotischen und widrigen Umstände keiner verletzt.
Fazit
Und was nehmen die Kollegen aus dieser Krise mit? Andreas Mokros ist sich sicher: „Wir haben gemerkt, dass wir selbst solche Krisen als Team gut managen können. In dem Zusammenhang möchte ich noch mal allen Kolleginnen und Kollegen danken, die uns unterstützt haben.“

Das Hochwasser in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli lag zwei Meter über einem durchschnittlichen Hochwasser. So ein Hochwasser kommt nur alle 10.000 Jahre vor. Für diesen Fall sind die Anlagen in Glüder nie gebaut worden …
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