Reichweite von E-Autos: Keine Angst vor längeren Strecken
Die Reichweite von E-Autos ist ein vieldiskutiertes Thema. Worauf es bei längeren Strecken wirklich ankommt, habe ich den erfahrenen E-Mobilisten Stefan Kirschner vom Solinger Verein Klingenstromer e.V. gefragt.
Christian Olbrisch: Eine Studie des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu Erstnutzern von E-Fahrzeugen hat erst kürzlich ergeben, dass die im Vergleich zum Verbrennungsmotor geringe Reichweite nach wie vor eines der stärksten Argumente gegen die Anschaffung eines E-Autos ist. Ihr Verein Klingenstromer e. V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Elektromobilität zum Zweck des Umweltschutzes in Solingen voranzubringen. Was sagen Sie als Erster Vereinsvorsitzender und Ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu dieser „Reichweitenangst“?
Stefan Kirschner: Natürlich erreichen Elektroautos nicht die Reichweite eines Benzin- oder Dieselmotors. Aber das Ladesäulen-Netz in Deutschland, so auch hier in Solingen, wird ja gerade jetzt massiv ausgebaut. Außerdem fahren die Deutschen im Durchschnitt gar nicht so viele Kilometer, wie sie oft meinen. Der ADAC und andere sammeln regelmäßig Daten zur Mobilität in Deutschland. Daher weiß man, dass ein Bundesbürger seit dem Jahr 2000 im Schnitt knapp 40 Kilometer am Tag zurücklegt. Bei einer Praxis-Reichweite von rund 200 Kilometern, wie sie die derzeit auf dem Markt verfügbaren E-Auto-Modelle standardmäßig haben, überhaupt kein Problem. Demnächst werden die neuesten Automodelle sogar über ca. 400 Kilometer Reichweite verfügen. Der Hyundai Kona Elektro und der Kia e-niro sind zum Beispiel seit Kurzem mit einem 64-KW-Akku erhältlich, der Reichweiten von über 450 km verspricht. Ersten Tests nach zu urteilen sind die Angaben von Kia und Hyundai dabei unter guten Wetterbedingungen durchaus realistisch.
Christian Olbrisch: Das hört sich gut an. Aber es existiert ja nicht nur eine, sondern es gibt viele verschiedene Bezeichnungen von Reichweite. Autohersteller geben eine sogenannte WLTP-Reichweite für ihre Modelle an, aber dann ist auch wieder von „Alltags“- oder „Praxis“-Reichweite die Rede. Können Sie uns da aufklären?
Stefan Kirschner: Grundsätzlich hängt die Reichweite von Elektroautos davon ab, wie hoch der Stromverbrauch des Autos und wie groß sein Akku ist. Für die meisten E-Autos ist dieser derzeit auf 150 bis 300 reale Kilometer ausgelegt. Zur Ermittlung der Reichweite von E-Autos gibt es eine ganze Reihe von Testzyklen. Die Reichweiten-Werte des WLTP-Testverfahrens („Worldwide-harmonizes-light-duty-test-procedure“) sind seit September 2017 für alle neu zugelassenen E-Auto-Typen und seit September 2018 für alle Neuwagen verbindlich von den Autoherstellern anzugeben. Wie der Name schon sagt, soll das WLTP-Verfahren für weltweit vergleichbare Verbrauchswerte sorgen. Generell schrumpft die Reichweite natürlich bei dauerhaft hohen Geschwindigkeiten schneller als im Stop-and-go-Verkehr in der Stadt. Das berücksichtigt der WLTP-Wert zum Beispiel. Deshalb ist er einigermaßen realitätsnah, spiegelt aber immer noch nicht den realen Straßenbetrieb wider.
Christian Olbrisch: Ist das denn dann bei der Alltags-Reichweite der Fall?
Stefan Kirschner: Auch das ist leider ein dehnbarer Begriff. Denn je nachdem wo man mit seinem Auto im Alltag häufig unterwegs ist, muss man zum Beispiel seine Reichweite im Stadtverkehr von der auf der Autobahn deutlich abgrenzen. Denn je schneller das Fahrzeug unterwegs ist, desto mehr Energie benötigt es und die Reichweite sinkt. Die Reichweite auf der Autobahn kann daher eine ganz andere sein als die im fließenden Stadtverkehr. Die Topografie spielt dabei auch eine Rolle: auf dem flachen Land benötige ich weniger Energie zur Fortbewegung als in einem Gebiet mit vielen Steigungen. Außerdem hängt die Reichweite natürlich auch davon ab, ob und wie viele sogenannte Neben-Aggregate wie die Innenraumheizung oder Klimaanlage ich während der Fahrt verwende, die zusätzliche Energie verbrauchen. Aber: Der Reichweiten-Wert – egal welcher – ist gar nicht so entscheidend, wie viele denken.
Christian Olbrisch: Wie meinen Sie das?
Stefan Kirschner: Mit einem E-Auto, das einen kleineren Akku und dadurch eine geringere Normreichweite hat, kann ich unter Umständen schneller ans Ziel kommen als mit einem Auto mit größerer Normreichweite. Ein Fahrzeug mit kleinem Akku (z.B. 30 kWh), das beispielsweise mit 70 kW schnellladen kann, ist vielleicht in 20 bis 30 Minuten wieder zu 80 % vollgeladen und ich kann weiter fahren. Ein Auto mit größerem Akku (z.B. 70 kWh) und z.B. nur 50 kW Schnellladefunktion braucht natürlich deutlich länger an der Ladestation, bis der größere Akku wieder mit Strom gefüllt ist. Die Akkugröße und damit die Normreichweite ist also gar nicht unbedingt ausschlaggebend für die Langstreckentauglichkeit eines E-Fahrzeugs – viel wichtiger ist doch, wie schnell ich den Akku in einer Kaffeepause wieder aufladen kann. Kia e-niro, Hyundai Ioniq und Kona können zum Beispiel bis zu 70 kW schnellladen, BMW i3 und Nissan Leaf bis zu 50 kW und der VW e-Golf bis zu 40 kW. Die neuen, teils erst angekündigten Modelle von Audi, Tesla, Mercedes oder Jaguar sollen mit 110 bis 150 kW geladen werden können.
Christian Olbrisch: Ich sollte also beim Kauf eines E-Fahrzeugs auf die Schnellladefunktion achten…
Stefan Kirschner: …und auf ein Thermalmanagement und eine Wärmepumpe. Das Thermalmanagement, bzw. ein flüssigkeitsgekühlter Akku sorgt dafür, dass im Sommer bei hohen Temperaturen in Kombination mit einer schnellen Fahrweise nach der ersten Schnellladung der Akku nicht überhitzt. Die Folge wäre nämlich, dass die Ladeleistung zum Schutz des Akkus gedrosselt wird und das Auto selbst an Schnellladesäulen deutlich langsamer lädt als ursprünglich vorgesehen. Mit einer Wärmepumpe wiederum wird der Reichweitenverlust bei laufender Heizung bzw. Klimaanlage deutlich reduziert, weil sie bis zu 50 % weniger Energie verbraucht als eine herkömmliche elektronische Heizung.
Christian Olbrisch: Was könnte ich – außer die richtige Fahrzeugausstattung zu wählen – außerdem noch tun, um mit einem E-Auto möglichst energieschonend und damit möglichst weit und lange fahren zu können?
Stefan Kirschner: Hohe Geschwindigkeit, häufiges Beschleunigen und viele Nebenaggregate wie die Heizung oder Klimaanlage sind die größten Strom- und damit Reichweitenfresser – übrigens genauso wie bei einem Verbrenner auch. Im Gegensatz zu Autos mit Verbrennungsmotor entwickeln E-Fahrzeuge keine überschüssige Wärme. Diese muss mit zusätzlichen Mitteln erzeugt werden, wenn man den Innenraum heizen möchte. Deshalb ist die oben erwähnte Wärmepumpe wichtig und für kürzere Strecken kann es ratsam sein, statt der voll aufgedrehten Heizung erstmal Lenkrad- und Sitzheizung einzuschalten. Die sind beide deutlich energiesparender. Außerdem schont es die Reichweite von E-Autos, wenn man seine Geschwindigkeit anpasst und so den Energiebedarf senkt.
Christian Olbrisch: In diesem Zusammenhang hört man auch immer wieder von der sogenannten Rekuperation bei Elektroautos. Was hat es damit auf sich?
Stefan Kirschner: Bewegungsenergie wird beim Bremsen und beim Schubbetrieb in elektrische Energie umgewandelt. Die Räder übertragen die Bewegungsenergie über den Antriebsstrang zum Elektromotor, der dann ähnlich wie der Dynamo eines Fahrrads funktioniert. Geht der Fahrer vom Antriebspedal oder tritt auf die Bremse, wird der Elektromotor zum Generator. Dadurch wird elektrische Energie sozusagen zurückgewonnen, was natürlich auch der Reichweite zugute kommt.
Elektromobilität bei den Stadtwerken Solingen
Elektromobilität bei den Stadtwerken Solingen: Mehr zu den Solinger O-Bussen, dem umweltbewusstste Mobilität sowie Fördermöglichkeiten.
Förderprogramm Klingen Plus: Elektromobilität
Das Förderprogramm Klingen Plus der Stadtwerke Solingen mit verschiedenen Angeboten die Elektromobilität (z. B. E-Bikes, Elektroroller).